Gerne sause ich im Frecciarossa durch Italien. Normalerweise benötigt er für die 271 Kilometer von Venezia Mestre nach Mailand 2,5 Stunden. Für uns machte er eine Ausnahme, nahm sich 5 Stunden Zeit.
Die Nacht vor unserer Reise regnete es in Norditalien heftig. Am folgenden Morgen konnte Vicenza von TRENITALIA nicht mehr angefahren werden.
Darum zweigte unser Zug nach Padua links ab, rollte 123 Kilometer runter nach Bologna, dann 150 Kilometer rechts hoch nach Verona.
Regelmässig wurden wir Passagiere über den aktuellen Verspätungsstand informiert. In Bologna verteilte die Zuggesellschaft Wasser, fünf Minuten vor der Ankunft in Mailand etwas zu essen.
Pünktlich zur Uraufführung des Schauspiels”Arche Noah” kamen wir an.
Für die Ouvertüre war ein heftiger Platzregen besorgt, die Verdunkelung funktionierte hervorragend, sorgte für ein Weltuntergangspanorama.
Autos paddelten langsam durch die überschwemmten Strassen. Krampfhaft versuchten wir unserer Statistenrolle in diesem Naturspektakel gerecht zu werden, keine schlechte Figur unter dem kleinen Schirm zu machen.
Nach zehn Sekunden schwammen unsere Zehen in den Schuhen, fünfzehn Minuten später befahl die Regie eine Pause.
Sie war uns willkommen.
Eine solche sehnt sich die Bevölkerung des Bundesstaats Rio Grande du Sul herbei. Seit drei Wochen steht ein grosser Teil dieses Bundesstaats, er ist siebenmal grösser als die Schweiz, unter Wasser.
Menschen starben, Hunderttausende Menschen haben ihr Hab und Gut verloren. Das öffentliche Leben steht vielerorts still.
Stark betroffen ist die Hauptstadt Porto Alegre, wo die Marine, das Militär und Freiwillige in Booten durch die Stadt fahren um Nothilfe zu leisten.
Starkregen liess ab 27. April den Rio Guaíba anschwellen. Nach fünf Tagen brachen veraltete Deiche und Schleusen, ergossen sich die braunen Fluten in die Stadt.
Der Regen hielt kontinuierlich an, der Wasserspiegel stieg stetig höher. Wetterbesserung ist nicht in Sicht, aktuell bewegt sich eine Kältefront in das Krisengebiet.
Es brauchte lange, bis die brasilianische Regierung zu handeln begann. Heftig sind die Schuldzuweisungen an ihre Adresse.
Schneller begannen Privatpersonen und bekannte Persönlichkeiten aktiv zu werden und Hilfsmitteltransporte in das Katastrophengebiet zu organisieren.
In unserem Wohnzimmer stapeln sich Kartonschachteln, gefüllt mit Kleidern, Bettwäsche, Frotteetüchern, gesammelt und abgepackt von meiner Geliebten.
Ein internationales Transportunternehmen wird diese Schachteln nach Brasilien fliegen. Gerne würde Marli mitreisen, um vor Ort Unterstützung zu bieten.
Berühmtheit erlangte in diesen Tagen Caramelo. Ein Pferd, auf einem Hausdach ausharrend, bis es medienwirksam von Feuerwehrleuten gerettet wurde.
Caramelo ist in Brasilien zum Symbol für die Tragödie geworden.