Auf dem Weg zur Weltmeisterschaft

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Wöchentlich duellieren wir uns auf einem Kinderspielplatz.
Manchmal ist die Platte trocken, manchmal müssen wir sie entwässern oder Eis abschaben, bevor wir anfangen können zu spielen.

Verlieren ist nicht die Lieblingsbeschäftigung meines Freundes. Dementsprechend spielt er auf, versucht mich mit angeschnittenen Anspielen aus dem Konzept zu bringen, nutzt jede Gelegenheit zum Schmettern. Erfreulich oft gelingt ihm das.
Regelmässig übe ich mich in der Kunst des Gratulierens.

In den letzten Monaten zwickte sein Rücken, erschwerte das Schlafen und das Bücken massiv. Verständlicherweise hat sich unsere Spielzeit verkürzt. Qualität vor Quantität ist jetzt angesagt.

In einem halben Jahr will Guido in Hochform sein.
Mitte Oktober wird er in Laško, Slowenien, an der PingPongParkinson-Weltmeisterschaft in der Kategorie “Beginners” teilnehmen.
Vor einigen Wochen spielte Guido in Luzern sein erstes Turnier. Am Samstag wurde gemeinsam vier Stunden trainiert, am Sonntag spielten 30 SportlerInnen, alle sind an Parkinson erkrankt, mit- und gegeneinander.
Am folgenden Dienstag war Guido immer noch aufgekratzt, tief bewegt von diesem intensiven Wochenende, von den Begegnungen mit den Frauen und Männern, welche sich auch nicht unterkriegen lassen.
Am kommenden Wochenende wird er in Wehr, nahe bei Waldshut, zu seinem zweiten Turnier antreten.

Jeden Dienstagmorgen staune ich.
Mit ruhiger Hand wirft er den kleinen weissen Ball hoch, ist konzentriert und fokussiert, beherrscht seine Koordination, wirkt auf mich wieder wie der junge Athlet, den ich vor bald fünfzig Jahren kennen und schätzen lernen durfte.
Auch meine Schwestern freuten sich damals über seine Besuche bei uns.

Vor 19 Jahren bemerkte Guido beim Joggen Lähmungserscheinungen an seinem linken Bein, in rascher Folge liessen sein Geschmacks- und Geruchssinn nach, verunmöglichte das Zittern das Schreiben, später auch seine Arbeitstätigkeit.
Seine Arzttermine nahmen stetig zu.

Aufgeben war nie ein Thema. Bis zum Einsetzen der Rückenprobleme joggte Guido mehrmals in der Woche, nahm regelmässig ambitioniert am Basler Stadtlauf teil.
Vor seiner Krankheit forderte er seinen Körper mit intensiven Laufeinheiten, war der Turm in seinem Faustballteam, welches in der höchsten Schweizer Liga sich mehrere Jahre zu behaupten wusste.

Nie hörte ich meinen Freund jammern oder hadern. Seine Aussage, vor einigen Jahren nebenbei geäussert, “warum soll es nicht auch mich treffen?” hallt in mir nach.

Guido ist eine wandelnde Musik-Enzyklopädie. In einer halben Sekunde erkennt er beispielsweise die Hymne “Rock and roll dreams come true” von Meat Loaf aus dem Jahr 1983.
Im gleichen Jahr pilgerten wir nach Zürich um Bruce Springsteen live zu erleben.

Wir lachten während unserer gemeinsamen Studienzeit viel. Auch heute glänzt er mit kecken Sprüchen, welche mich immer wieder losprusten lassen.
Die familiären und beruflichen Herausforderungen im Mannesalter ging jeder von uns auf seine eigene Art und Weise an.
Der Kontakt wurde längere Zeit loser, der Sympathiefaden riss nie ab.

Guido ist nicht gewillt, Kanonenfutter in Slowenien zu sein.
Gerne bin ich sein Sparringpartner, bei welchem er die Tricks erproben kann, welche er in seinem Training am Donnerstagabend im Parkinson-PingPong oder in Privatlektionen erlernt hat. Jeder gespielte Ball zählt.

Fortsetzung folgt.

16. April 2024


1 Kommentar

  • so schön,Guido war mal mein Wahlfachsportlehrer am Holbein,auch damals keck und lustig,freut mich,dass er so gerne Ping Pong spielt