Vaches libres

V

In Moutier, welches in den nächsten Jahren dem Kanton Bern den Rücken zeigen und sich dem Kanton Jura anschliessen wird, entsteigen um 09:51 Uhr das jüngere und das ältere Ehepaar dem Zug.
Die 4 Rucksacktragenden nehmen die Wanderung zum 22 Kilometer entfernten Bellelay wohlgemut und frisch auf.

Bald geht es im Wald steil durch ein Bachbeet hoch. Moderne Zivilisation verliert schrittweise an Bedeutung und Gehör.
Das bedächtige Aufsetzten des einen Fuss vor den andern und das Perlen der Schweisstropfen bestimmen den Rhythmus der nächsten Stunden.

Weit oben erstrecken sich lichte Juraweiden.
Herrlich ist die Aussicht, bevor es nach Champoz runtergeht, wo wir uns an einem der fünf Dorfbrunnen erfrischen.

Unter uns prägt die Autobahn den Talgrund de la Vallée de Tavannes. Die Birs, welche hier erstmals das Tageslicht erblickt, sehen wir nicht.

Auf Asphaltsträsschen und Wanderwegen marschieren wir Pontenet und Saicourt entgegen, wo wir wieder in die Höhe streben dürfen, um zum Moorgebiet La Sagne zu gelangen.
Diesem und der Kantonsstrasse folgend hoffen wir bei jeder Kurve unseren Zielort zu sehen.

Tappiger fühlen sich die Schritte an. Provozierend leichtfüssig hüpft ein Reh aus dem Moorgras in den Wald.

Enfin erblicken wir die Schaukäserei Bellelay, wo der Tête de Moine hergestellt wird.
Im 12. Jahrhundert kreierten Mönche des Klosters Bellelay erstmals diesen halbharten Rohmilchkäse.
Bald war der essbare Mönchskopf so begehrt, dass er auch als Zahlungsmittel akzeptiert wurde.

Neben der Schaukäserei und vis-à-vis der riesigen Klosteranlage, welche heute als psychiatrische Klinik dient, nimmt uns das Hotel de l’Ours auf.
Dieses mehr als 200 Jahre alte Gebäude beeindruckt durch seine wuchtige Eleganz, das grosse Zimmer, die freundliche und aufmerksame Dienstleistung, das leckere Essen und die breiten Treppen, welche den Eindruck vermitteln, man steige zu einem wichtigen Empfang hoch.
Formidable!

Le prochain matin weiss die Sonne nicht, ob sie mit uns schwitzen oder uns Erfrischung gönnen soll.

Angesagt ist die Tour de Moron.
In stetem Auf und Ab führt uns der braune Wanderweg durch Waldstücke, über offene Weiden und zu steilen Wanderwegen, auf denen Kühe residieren, langsam kauen, argwöhnisch schauen und uns glücklicherweise nicht ernst nehmen.
Das Schmatzen der Vierbeiner und der Wind geben hier den Ton an.

Das jüngere Ehepaar scheint schwebend sich fort zu bewegen. Mehrere hundert Wanderkilometer auf Pilgerwegen haben es sichtbar abgehärtet.
Es macht Spass ensemble unterwegs zu sein!

Auf 1336 Meter über dem Meer erhebt sich der Moron-Turm, entworfen vom Tessiner Architekten Mario Botta.
260 Treppenstufen, schon ist man oben.
An anderen Tagen ist scheinbar freie Sicht auf die Alpen und den Schwarzwald möglich.
Wir schauen zu, wie eine Gruppe PfadfinderInnen einen gefesselten Kameraden aus den Fängen eines Geiselnehmers befreit.
Interessant.

Erstaunt nehmen wir zur Kenntnis, dass der Wanderweg weitere 3 Stunden Wanderzeit nach Moutier anpreist.
Quelle surprise!

Der schmale und rutschige Steg runter zum Hof Combioz windet sich Brennnesselfeldern entlang, wilde Orchideeen und wunderbare Blumenwiesen motivieren inne zu halten und zu staunen.
Ein Fest der Sinne.

Vor Perrefitte steigen wir in eine mystische Schlucht ein, die stete Feuchtigkeit verwirklichte auf Felsen und Bäumen wundersame Moosmuster.
Miraculeux.

Endlos scheinen die letzten 4 Kilometer von Perrefitte zum Bahnhof Moutier der Autostrasse und schlimmen Bausünden entlang.
Die bisher geleisteten 20 Kilometer haben sich an gewissen Körperpartien wenig genüsslich abgelagert.
Difficile.

Ab 19:08 Uhr ist Sitzen im Zug angesagt, die Gedanken wirbeln, das Herz hüpft, die Beine hängen.
Der Jura bewegt.

Merci beaucoup.

Erster Tag im August 2021

1 Kommentar

  • Lieber Kusi
    Herzlichen Dank, dass ich mit dir über 20 km Leben mitgeniessen durfte.
    Ich sah die Gegenden und Tiere und den Käse direkt vor mir.
    Lieben Schweizer Geburigruss
    Beat