1976 offenbarte ich meinem Tagebuch meine Leidenschaft für den Song “Born to run” von Bruce Seemstein.
Bereits damals verhielt sich mein Tagebuch diskret, tolerant, nachgiebig.
Es wies mich nicht darauf hin, dass mich Bruce Springsteen, nicht Seemstein, mit seinem Song elektrisiert hatte.
Meine Tagebuch-Bibliothek umfasst 25 “Bände” und stapelt sich.
Vor einigen Tagen nahm ich mir vor, ältere Tagebücher zu entsorgen.
Um mir Gewissheit zu verschaffen begann ich zu blättern und zu lesen.
Wach gerufen wurden Erlebnisse, Gefühle, Gedanken und Gerüche, welche Jahrzehnte zurückliegen.
Beim Lesen erlebte ich wieder Etappen meines persönlichen Werdegangs, wusste immer wieder Bescheid über Hintergründe des Geschriebenen.
Ich staunte, wie automatisch und genau ich mich wieder in die beschriebenen Momente versetzen konnte.
Nicht wirklich überraschte mich, wie vieles ich vergessen hatte. Diese Fähigkeit schätze ich zuweilen an mir, sie wirkt oft entlastend.
Meine Geliebte deutet diese Qualität oft verschieden.
Eventuell war das Wissen über meine begrenzten Speicherqualitäten ein Grund dafür, mit dem Schreiben von Tagebuchzeilen zu beginnen.
Beim reflektierenden Schreiben entdeckte ich den unglaublichen Reichtum an Erlebnissen und Begegnungen in meinem Alltag, den ich selber nicht als spektakulär bezeichnen würde.
So wurde das Verfassen von Tagebucheinträgen für mich zu einem Ritual, in welchem ich auch lernte, dankbar und zuversichtlich zu sein.
Hilfreich war für mich sicher, dass die digitale Technik noch nicht ausgebrütet war.
Auch ermöglichten die Momente des Schreibens für mich eine Form der Sammlung, der Konzentration.
Papier nimmt auf und Gedanken ab, ist unendlich geduldig.
Interessant war immer wieder am Morgen aufzustehen und zuerst zu lesen, was ich am Vortag geschrieben hatte.
Wie oft hatten sich Sichtweisen verändert, relativiert!
Ich bin immer noch am Blättern.
Falls ich die Papierabfuhr tatsächlich mit meinen Tagebucheinträgen füttere, werde ich mich zuvor in schriftlicher Form an den damals jungen Tagebuchautor wenden und ihm mein Vorgehen erklären.
Ein wunderschönes Beispiel hörte ich gestern im Radio, als Cat Stevens mit seinem Song “father and son” mich schlagartig in meine hormonreichen Teenagerjahre zurückversetzte, in welchen ich anfing, Freundschaft mit meinem Tagebuch zu schliessen.
26. Juni 2021
Lieber Markus ,
Danke für Deinr Nachfrage, es geht mir sehr gut. Ist es nich wunderbar endlich Zeit für sich und die vielen Gedanken zur Verfügung zu haben. Ich bin sozusagen ruhig gestellt, den meine beiden Hände lassen mich im Stich.
Doch durch diese aufgezwungene Ruhepause gehen andere Welten auf, die mich überraschen und froh machen
Die Vögel singen lieblicher, der Regen plätschert musikalischer und der Wind singt in allen Tonarten.
Liebe Grüsse Cécile