Radical

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“Radical”, ein amerikanisch-mexikanischer Film berührte uns derart, dass wir nach dem Ende der Vorstellung angewurzelt sitzen blieben, ich mir verstohlen die Augen trocknete, wir eine Woche später den Film nochmals schauten, dieses Mal in Originalversion.

Die Filmhandlung basiert auf wahren Gegebenheiten in den Jahren 2011 und 2012 in Matamoros, eine mexikanische Stadt nahe der amerikanischen Grenze.
Sergio Juárez Correa, Lehrer einer sechsten Klasse, trotzt dem Mangel an jeglicher Infrastruktur in seiner Grundschule, der alltäglichen Gewalt in den Strassen Matamoros. den äusserst prekären Umständen, in welchen seine SchülerInnen leben.
Mit unkonventionellen Methoden, er ignoriert den streng getakteten Lehrplan radikal, motiviert er die Kinder eigenständig zu lernen, ermöglicht ihnen Selbstvertrauen zu erarbeiten, Mut zu schöpfen, selber zu denken, an sich zu glauben.

Mich berühren sein Mut, sein Glaube an das Potenzial seiner Schützlinge und seine Überzeugung, dass sie in ihrem Tempo und auf ihre persönliche Art und Weise sich Wissen anzueignen vermögen, wenn sie neugierig und motiviert sind.
Radikal anders als andere Lehrpersonen in seinem Kollegium nimmt der Pädagoge seine Rolle wahr. Er nimmt sich als Lernvermittler stark zurück, versucht den Kindern bei ihrer Lerntätigkeit nicht im Weg zu stehen, ihnen unterstützend zur Seite zu stehen.

Bei der dreistündigen Schlussprüfung, alle Lernenden der sechsten Klasse in Mexiko schreiben diese, erzielt seine Schülerin Paloma Noyola landesweit das absolute Spitzenresultat. Weitere 10 Knaben und Mädchen seiner Klasse erreichen Spitzenwerte.
Sergio Juárez Correa arbeitet auch 2024 noch an der gleichen Schule, trotzt immer noch der wenig einladenden Lernumgebung, dem Mangel an Lehrmitteln und digitalen Lernmöglichkeiten.

Auf und nach meinen Reisen in Brasilien beschlichen mich immer wieder widersprüchliche Gefühle: Dankbarkeit, in eine andere Kultur eintauchen zu dürfen, meinen Horizont erweitern zu können.
Mitleid mit den vielen Jugendlichen, welche alles geben würden, um eine bessere Schulbildung zu erhalten.
Wut, dass das Bildungswesen bei den Staatsausgaben konsequent stiefmütterlich behandelt wird und immer wieder Ernüchterung nach der Rückkehr in mein Heimatland, in welcher die fantastische Infrastruktur an den Schulen für viele scheinbar ein Naturgesetz und eine Selbstverständlichkeit ist.
“Radical” zeigt radikal, dass dem nicht so ist.

26. März 2024

2 Kommentare

  • Ein wunderbarereText hast Du mir geschickt. Es tut so gut zu wissen, dass es noch Menschen gibt die auch an Andere denken und helfen.
    Herzlich Cécile

  • Sehr eindrücklicher Text.
    Ich dachte spontan an überfachliche Kompetenzen, selbst organisiertes Lernen und digitale Lernpfade (bei den Gesundheitsberufen in Sursee, wo ich unterrichte).

    Und heute bekam ich den Entwurf des neuen Rahmenlehrplanes!
    Er ist NICHT radikal neu.

    Es passt heute alles zusammen und es geht um Lernen.

    Lieben Gruss
    Beat