Zupfen

Z

Beim Frühstück entscheidet Frau “heute putzen wir die Fenster”. Mann nimmt einen Schluck Kaffee und stimmt lächelnd zu.

Beim Zusammenarbeiten kommt bei uns keine Langeweile auf, zu unterschiedlich sind Herangehensweise und Arbeitstempo.
Schlussendlich haben wir beide Freude am transparenten Arbeitsergebnis und können lachen.

Gut aufgewärmt zupfe ich danach Unkraut, welches zwischen den Kieselsteinen im Garten sich breit macht.
Ich mag die nicht erlahmende Kraft der Natur, welche sich um Werke des Menschen nicht zu kümmern scheint.
Beispielsweise staune ich immer wieder über die Stärke von Baumwurzeln, welche Beton in die Höhe schieben und diesen zu sprengen vermögen.

In der Hocke zupfe ich Erinnerungen an die dreitägige Wanderung am letzten Wochenende hervor.
Langsam und stetig bewegte sich das Ehepaar von Gurnigel Bad auf dem Gantrisch Panoramaweg via die Berghütte Selital nach Schwarzsee und dann über den Euschelspass nach Jaun.

Das Wort “eben” wurde kaum in dieser betörend schönen Region kreiert.

Wer steigt, hat immer wieder freie Sicht, z.B. auf den Thunersee, die Gantrisch- und Stockhornkette, auf das Mittelland, auf den Neuenburger- und den Schwarzsee.
Wir schwelgen, schwitzen, sind durstig und glücklich.

Ein Höhepunkt ist der Gäggersteg.
Am 26. Dezember 1999 zerstörte der Orkan Lothar am Gägger auf 40’000 Quadratmetern den gesamten Waldbestand.
Unheimlich muss das Brausen und Tosen des Sturmwinds, das Brechen, das Knicken und das Krachen der Bäume gewesen sein.
Übrig blieb ein rasiertes Waldstück mit Baumstoppeln und gefällten Tannen.

Im Jahr 2000 wurde entschieden, dass die Aufforstung dieser Fläche der Natur überlassen werden sollte.
Heute führt der Gäggersteg, ein eleganter Holzsteg, auf einer Höhe von 8 Metern über Totholz, nachwachsende Sträucher und Bäumchen, welche ein Paradies für Schmetterlinge, Ameisen, Waldkauz und Birkhuhn zu sein scheinen.

Die Natur nutzt tot Geglaubtes als Ressource um Neuem Leben zu schenken.
Wir staunen stumm.

Zeit scheint keine Rolle zu spielen. Der Mensch auch nicht.

17. Juni 2021

1 Kommentar

  • Wunderschön, habs im Geist nachempfunden …. Fenster putzen, Gräser ausreissen, wandern ….
    Lieben Gruss
    Beat