Hitzig und laut war der Samstagabend im Landgasthof Riehen.
Zwischen 17 bis 23:30 Uhr duellierten sich Boxer verschiedener Gewichtsklassen, Amateure und Profis, im grossen Saal, umfunktioniert zu einer Boxarena.
Für den grossen Showdown waren der Lokalmatador, Arnold Gjergjaj, und sein belgischer Kontrahent, Bilal Laggoune, besorgt
Ich mag Arnold, den sanften Riesen, sehr. In den vergangenen Wochen betreute unser älterer Sohn ihn beim Krafttraining.
Immer wieder nutzten wir gemeinsame Pausen zwischen den einzelnen Sets, um über das Leben zu philosophieren.
Die zwei Schwergewichte umkreisten sich konstant, versuchten die Deckung des Kontrahenten gewaltsam zu durchbrechen, suchten den Nahkampf. Immer wieder verhakten sich ihre verschwitzten Oberkörper.
Ab der zweiten Runde blutete die rechte Augenbraue von Arnold, seine vor kurzem gebrochene Rippe spürte er sicher auch.
Ich litt mit ihm.
Während das Publikum bei jedem Treffer von Arnold kreischte und aufheulte, glitten meine Gedanken immer wieder zu Christopher Thomas Knight ab.
1986, im Alter von 21 Jahren, entzog sich dieser Amerikaner seiner vertrauten Umgebung, verschwand, ohne jemanden zu informieren, für 27 Jahre in einem Waldstück im Bundesstaat Maine.
Ihm war das Leben zusammen mit anderen Menschen zu oberflächlich, zu grell geworden.
Christopher campierte nahe an menschlichen Behausungen, aber so gut versteckt, dass niemand ihn zu Gesicht bekam.
“Hi”, adressiert an einen Wanderer, war die einzige Konversation während seiner selbst gewählten Isolation.
Der Eremit entfachte, aus Furcht entdeckt zu werden, auch im kältesten Winter kein Feuer. Er ernährte sich von den Früchten der Natur und von der Beute seiner Einbrüche in Ferienhäusern. 2013 wurde er in flagranti ertappt.
Nach seiner Verhaftung und dem folgenden Gerichtsprozess musste er sich gezwungenermassen wieder in die menschliche Gesellschaft eingliedern.
Der 48 jährige Mann litt, fühlte sich bevormundet, missverstanden, sehnte sich nach dem Wald, dessen Geräuschen, Farben, der Stille.
Der Autor Michael Finkel zeichnet in seinem Werk “Der Ruf der Stille” warmherzig und einfühlsam das Portrait eines Menschen, welcher nicht gängigen Normen entspricht, auf der Suche nach absoluter Ruhe die Zivilisation fluchtartig verliess, gleichwohl stets auf ihre Erzeugnisse angewiesen blieb.
Die formulierten Gedanken über die Fähigkeit, in absoluter Ruhe zu verharren, beeindrucken mich.
Nach eigenen Aussagen hatte Christopher kein Bedürfnis Selbstgespräche zu führen, einsam fühlte er sich scheinbar nie.
Zwölfmal 3 Minuten belauerten sich Arnold und Bilal, auf die Gelegenheit hoffend, den Gegner zu Boden zu schicken. Keinem gelang der entscheidende Hieb.
Schlussendlich kürte das Kampfgericht Arnold zum Sieger. Bilal und seine Anhänger hatten begreiflicherweise Mühe, das Urteil zu akzeptieren, äusserten ihren Unmut lautstark dem Publikum gegenüber.
Glücklicherweise reagierte niemand emotional!
Meine Mimik und Körpersprache während des Spektakels sprachen Bände, Christopher hätte sicher sehr schnell das Weite gesucht.
3. September 2023
sqbs0z
Lieber Markus
Herzlichen Dank für deinen Text über die Spannung zwischen Power und Ruhe.
Ich selbst würde auch gerne Ruhe wählen, nicht 27 Jahre, aber mal eine Stunde pro Tag.
Lieben Spätsommergruss
Beat
Danke für den spannenden Bericht, ich denke, dass unter den Menschen ein dauerndes Geben und Nehmen sein sollte. Man kann sich ja immer zurückziehen, wenn man es nötig findet. Aber auf die Dauer, finde ich es egoistisch.