Frühmorgens trotzte ich am Ende meines Krafttraining bei den Liegestützen möglichst lange der Schwerkraft.
Auf dem Heimweg schlenderte ich dem Dalbedych entlang. Vor einer kleinen Brücke erwartete ein Graureiher erwartungsfroh das Nahen eines alten Mannes. Dieser öffnete einen Plastiksack, der Standvogel seinen Schnabel. Gierig verschlang er die ihm zugeworfenen Stücke Fleischkäse und Cervelat. Ich staunte und lernte dazu.
Das anschliessende Zusammensein mit Noah, unser Enkelsohn, gestaltete sich wieder zu einer Lektion im Themenbereich “Leichtigkeit des Seins”.
Zusammen fütterten wir Entenfamilien, staunten über die Schwerelosigkeit der Möwen, schälten abblätternde Rinden von Platanen, liessen Ballone tanzen, begleiteten Augustus, Marek und Tarek bei ihren Abenteuern im Lesebuch, genossen das Essen von Marli, unsere Gemeinschaft.
Am Nachmittag besuchte ich meine Mutter im Pflegheim. Zusammen mit anderen HeimbewohnerInnen sangen wir in einem grossen Raum Volkslieder und alte Schlager. Etliche Frauen und Männer schienen in sich versunken, dem Moment entrückt. Das Alter prägt Ausdruck und Kraft der Stimme nachhaltig, die Fragilität des Lebens ist sicht- und hörbar. Es sind kostbare Momente, ich bin dankbar.
Abends durften wir im Historischen Museum Basel die Sonderausstellung “verrückt normal – Geschichte der Psychiatrie in Basel” besichtigen. Ein enger Freund hatte diese sorgfältig und phantasiereich mit seinem Büro gestaltet. Das Thema, die vermittelten Informationen, die ausgestellten Exponate und der Aufbau der Ausstellung beeindruckten mich tief, die Eindrücke hallen nach, stimmen mich nachdenklich.
Ich wusste nicht, dass in Basel bis 1940 Menschen mit der Krankheit “Progressive Paralyse”, eine Schädigung des Gehirns als Folge von Syphilis, gezielt mit Malaria infiziert wurden.
Die Fieberschübe erzielten oft einen positiven Effekt. Julius Wagner-Jauregg, Psychiater und Begründer dieser Fiebertherapie erhielt 1927 den Nobelpreis für Medizin.
Im historischen Herzen von Kleinbasel, ich wähne mich an diesem Ort stets im Mittelalter, frei von modernen Verkehrsgeräuschen, genossen meine Geliebte und ich den anschliessenden apéro riche.
Auf dem Heimweg trafen wir auf einen Mann, welcher sich in der kalten Dunkelheit zu sonnen schien. Er lag vor dem Restaurant “Zum schmale Wurf” auf dem Rücken, im Mund eine Zigarette, das rechte Bein scheinbar lässig über dem linken Knie aufgestützt. Sandalen baumelten an seinen nackten Füssen.
Meine Frage, ob ich ihm helfen könnte, beantwortete er mit einem barschen “Ja!” Da er keine Arme hatte, bat er mich, ihn am Kopf zu packen und so aufzustellen,
Einem energischen jungen Mann und mir gelang es, seine Daunenjacke rutschte ihm zweimal über den Kopf, ihn zuerst in die Sitzposition zu hieven und dann hoch zu ziehen.
Kurz setzte er sich auf eine Bank bei der Tramhaltestelle, taumelte dann zum Tram 8 in Richtung Schifflände, öffnete mit einer für mich nicht nachvollziehbaren Bewegung die Türe und liess sich auf einen Sitz fallen.
In dieser Nacht piesackten mich verrückte Träume. Ich war froh, ihnen am folgenden Morgen entrücken zu können.
Sonntag, 2. Februar 2025